"I want so much to open your eyes!" (Olesja,32)

In der alten Heimat: Südstadt Hannover


Heute treffe ich Olesja in der Südstadt in Hannover. Wir treffen uns in einem kleinen Straßencafé. Olesja ist gerade zu Besuch in Hannover und die Südstadt war auch ihre Gegend, als sie noch in Hannover gewohnt, studiert und gearbeitet hat. Sie ist nicht nur zu Besuch in Hannover sondern sogar zu Besuch in Deutschland, denn Sie ist im Januar 2017 nach Bali gezogen. Ich bin zu früh am Treffpunkt und setze mich schon einmal draußen im Café in die Sonne. Super schönes Wetter! Olesja kommt kurz nach mir am Treffpunkt an. Sie ist gut gelaunt obwohl sie etwas müde ist. Sie erzählt mir, dass sie rund 24 Stunden Flug von Bali nach Frankfurt hatte. Außerdem möchte sie natürlich in den zwei Wochen Deutschland alle wichtigen Freunde und die Familie besuchen. Da kommt der Schlaf schon mal etwas zu kurz.

"Bali? Warum ausgerechnet Bali?"

Sie erzählt, dass sie in Bali ihren Mann geheiratet hat und dass sie die Flitterwochen dort verbracht haben damals. Gewohnt hat sie zuletzt in Deutschland in der Nähe von Frankfurt (a. M.). Von einer mittelständischen Werbeagentur in Hannover ist sie zu einem Finanzdienstleister in Frankfurt ins Marketing gewechselt, nach kürzerer Zeit dann weiter zu einem Energie-Versorger. Ihr Mann hat als Bänker in Frankfurt gearbeitet. Sie hatten ein Top-Einkommen. Dann sind sie in die ehemalige Elternwohnung ihres Mannes eingezogen - dörflich etwa 20 Kilometer vor Frankfurt gelegen. Sie beschreibt mir ein Gefühl was ich auch schon einmal hatte: "Ich hatte alles. Einen sicheren gut bezahlten Job, einen Mann, eine Wohnung - aber ich merkte dass ich einfach nicht glücklich war". Lange hat sie dieses Gefühl unterdrückt, es weggeschoben, aber irgendwann kam die Zeit wo das einfach nicht mehr möglich war.


“I want so much to open your eyes!”

Nach einem Starter-Frühstück verlassen wir das Straßencafé und suchen uns einen schönen Platz am Maschsee. Bei Bomben-Wetter pausieren wir im Halbschatten unter ein paar Bäumen. Olesja erzählt weiter wie es dazu kam alles hinter sich zu lassen. Sie raucht eine Menthol-Zigarette und wir machen Witze über meinen Blog (bei Charlie gab es kaum ein Foto ohne Zigarette). Aber Olesja berichtet auch weiter über Ihre Geschichte. Als es ihr Ende 2015 immer schlechter geht, entschließt sie sich eine Auszeit zu nehmen. Sie reist von Januar bis März 2016 drei Monate durch verschiedene Länder: Malaysia, Thailand, Laos, Myanmar und Bali - ganz allein. Job-Pause, Beziehungspause, raus aus der gewohnten Umgebung und alleine klar kommen. Herausfordernd aber nötig. Während der Reise gibt es einen Song der sie dauerhaft begleitet: „Open your eyes“ von Snow Patrol. Sie sagt: „Man kann es als Liebeslied sehen... Ich habe in dem Song kein Paar gesehen, sondern mein Altes-Ich und wer ich heute bin."

 

Get up, get out, get away from these liars
'Cause they don't get your soul or your fire
Take my hand, knot your fingers through mine
And we'll walk from this dark room for the last time
Every minute from this minute now
We can do what we like anywhere
I want so much to open your eyes
'Cause I need you to look into mine"


„Im Grunde erinnert es mich immer daran, alles vergangene hinter mir zu lassen und mit offenen Augen und Herzen zu leben“, schließt sie den Satz ab.


„Nach dem Gespräch mit meiner Freundin, wurde es mir dann irgendwie klar!“

Wir setzen uns auf einen Holzsteg am Ufer, weil das Laufen und Verweilen unter Bäumen irgendwie doch für eine Shooting-Stimmung sorgt und man sich nicht so gut unterhalten kann. Allgemein lachen wir sehr viel und haben ein sehr lockeres Gespräch mit wenigen nachdenklichen Momenten. Olesja wirkt auf mich sehr ausgeglichen und zufrieden. Wir vertiefen verschiedene Themen und sie berichtet von der Zeit nach Ihrer Auszeit. Von April bis August 2016 ist sie weiter arbeiten gegangen und hat versucht ihr altes Leben zu leben. Ohne richtigen Erfolg. Im August hat sie ihren Job gekündigt mit dem Ziel sich selbständig zu machen. Kurz danach ist auch Ihre Ehe gescheitert und man ist getrennte Wege gegangen. „Dann ist meine Sicherheitssystem angesprungen“, erzählt sie. Sie hat nach Wohnungen geschaut und wieder Bewerbungsgespräche geführt. Olesja hat aber auch schnell wieder gemerkt, dass das nicht der richtige Weg ist.
Durch ein Gespräch mit einer Freundin, bei der sie vorübergehend gewohnt hat, wird ihr dann ihr Weg etwas klarer. Sie wollte schon immer mal im Ausland leben. In Bali hatte sie damals geheiratet und war während der letzten drei Jahre regelmäßig wieder in Bali. Irgendwie hat sie sich auf der Insel sehr wohl gefühlt. Jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen, um sich diesen Wünsch zu erfüllen. Was hatte sie noch zu verlieren? Sie hat alles geplant und organisiert und die Auswanderung nach Bali zum Januar 2017 realisiert.
Sie wohnt in Bali in der kleinen Stadt Canggu. Dort hat sie ein sehr schönes Haus von einem Freund übernommen, der zurück nach Holland gegangen ist. Seinen Hund „Happy“ hat Olesja gleich mit übernommen, denn sonst wäre der wohl wieder zurück an den Strand oder in ein Tierheim gekommen. Die beiden scheinen ein echtes Dream-Team zu sein.
Ich frage Olesja nach ihrem Tagesablauf auf Bali. „Yoga, Sunrise mit Hund am Strand, einkaufen gehen auf dem Local-Market, zuhause arbeiten, Mittag essen gehen, weiter arbeiten, Yoga und wieder zum sundown mit „Happy“ zum Beach eine Kokussnuss trinken und mit Freunden den Abend genießen. Klingt gut. Klingt auch nach einer ausgeglichenen Work-Life-Balance. Olesja blüht richtig auf, als sie mir von Bali erzählt. Ich möchte natürlich auch wissen, wie sie sich ihr Leben jetzt finanziert. Sie hat eine eigene Schmucklinie namens „Oh Bali“ gegründet. Der Schmuck wird auf Bali hergestellt und sie verkauft ihn per Webshop in die ganze Welt. Natürlich vor allem nach Deutschland. Sie hat alles selbst auf die Beine gestellt. Layouts, Webdesign, Produkt-Fotos, Online-Shop und Marketing übernimmt sie selbst und arbeitet Nächte lang für ihr Thema. Olesja erzählt, dass sie gerade am Anfang Phasen hatte wo es nicht so gut lief und sie überlegt hat ihr Herzensprojekt „Oh Bali“ wieder zu beenden. Aber immer wenn dieser Gedanke kam, war auch an diesem Tag wieder eine Bestellung im Email-Postfach. Diese Zeichen hat sie angenommen und arbeitet weiter mit Herzblut für ihr Projekt. Als zweites Standbein arbeitet Olesja als Fashion-Stylistin für Zalando.


„Leben ist das, was passiert, während du dabei bist, andere Pläne zu schmieden." (John Lennon)

Das antwortet Olesja mir auf die Frage nach der Zukunft und nach Ihren Plänen. Sie lebt und macht keine Pläne mehr.
Ihre Eltern sind nicht sehr glücklich über diese Entwicklung. Sie sorgen sich um die Zukunft, machen sich Gedanken um die Rentenversicherung – so wie es liebevolle Eltern wohl machen. Olesja wünscht sich einfach, dass sie noch lange diese neue Freiheit nutzen kann. Sie blüht förmlich darin auf.
Wir haben mittlerweile den Steg wieder verlassen und schlendern noch ein wenig am Ufer des Maschsee entlang. Sie erzählt von coolen Erlebnissen auf Bali. Von Fahrstunden auf dem Roller, von ersten Stürzen beim Roller fahren, von Fotoshootings im hauseigenen Pool und von ihren Fortschritten beim Yoga. Sie berichtet mir, dass sie schnell Anschluss gefunden hat. Viele „digital natives“ leben auf der Insel und arbeiten von dort aus. So gibt es ein kleines Netzwerk und man hilft sich gegenseitig. Zum Beispiel hat eine Bekannte auf Bali ihr die Kontakte zu Schmuckherstellern und Lieferanten vermittelt und dafür hat Olesja ihr beim Marketing ihres Business geholfen.

 Immer wieder sehen wir dicke und bestimmt 80cm große Karpfen im Maschsee auftauchen und vorbei schwimmen. Wir blödeln über die nicht wirklich hübschen Karpfen und Olesja zeigt mir auch ihr schönstes “Karpfengesicht“.       :)

 

Auch von den Sitten der Balinesen und der Religion die auf Bali sehr präsent ist, berichtet sie mir. Vor allem wenn es um ihren Hund „Happy“ geht strahlt sie über das ganze Gesicht. Auf die Frage, ob sie ihren Urlaub in Deutschland gerne noch um eine Woche verlängern würde, antwortet sie ohne zu überlegen. Nein! Sie zieht es zurück auf ihre Insel, die Insel die ihr Ruhe, Stärke und Kraft zurückgegeben hat und natürlich zurück zu „Happy“.


Terima Kasih!

Danke liebe Olesja für dein Vertrauen in mein Projekt. Ich bewundere deinen Mut und vor allem dass du auf dein Herz und deinen Bauch hörst, obwohl dich auch Angst begleitet. Du kannst sehr stolz sein, deinen Weg gefunden zu haben. Ich wünsche dir, dass du noch lange deine Freiheit behalten kannst und glücklich und zufrieden deine Ziele erreichst. Ich freue mich von Dir zu lesen oder dich wieder zu treffen. Sampai bertemu lagi!

Projekt "Freigeister" - Oliver Müller

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