"Hip-Hop hat mich das werden lassen, was ich jetzt bin!"                               (Mehmet, 48)

Er klärt nur die wichtigen Dinge mit dem Mic. Sonst hält er sich eher im Hintergrund. (Mehmet, 48)
Er klärt nur die wichtigen Dinge mit dem Mic. Sonst hält er sich eher im Hintergrund. (Mehmet, 48)

Mehmet treffe ich zum ersten Mal im Jugendzentrum Döhren beim "Juniorbattle", einem Breakdance-Event für den Nachwuchs. Er organisiert das Juniorbattle im Auftrag der Landeshauptstadt Hannover (Kinder- und Jugendarbeit). Als ich ankomme sitzt er in seinem Büro. Er hat ständig das Handy im Blick, weil er mit Tänzern und Eltern schreibt. Immer wieder passt er die Organisation der Battles an, weil er neue Nachrichten über sein Handy bekommt - er druckt den Plan immer wieder neu aus. Nebenbei diskutiert er mit seinen Kolleginnen und Kollegen und berät sie. Alle haben Fragen an ihn. Einerseits ist er seelenruhig, andererseits total unter Strom. Als kurz mal niemand Fragen an ihn hat und etwas Ruhe im Büro einkehrt, holt er einen Pokal aus seinem Rucksack. "Den wollte ich Dir zeigen! Unser erster Pokal vom Breaken. 1984.", er lacht und ist auch etwas stolz. 

Hier beim Juniorbattle kennt Mehmet Eltern, Trainer und natürlich die Kids. Seine Judges für das Event treffen sich auch in seinem Büro zur Abstimmung für den Tag. Mehmet erklärt genau die Regeln und natürlich darf der ein oder andere Spaß auch nicht fehlen.


"Olli, ich renne hier die ganze Zeit rum."

Mehmet läuft durch das Jugendzentrum, begrüßt Leute, organisiert den Eintrittsbereich, die Technik, die Musik und natürlich muss noch durchgewischt werden. Er klettert auf die Leiter und installiert die Kamera. Dann wuselt er wieder nach draußen, wo bereits die Besucher auf den Eintritt warten. Wieder klärt er Dinge per WhatsApp. Als die Veranstaltung beginnt wird er endlich etwas ruhiger. Bevor es richtig los geht übernimmt er aber nochmal das Mic. Er weist auf die Sicherheit der Tänzer hin, bittet die Zuschauer um Rücksicht und Verständnis. Sonst steht er diesen Tag nicht im Mittelpunkt. Während der Battles unterstützt er die jungen Tänzerinnen und Tänzer aus seinen Workshops. Er ist mittendrin. Ich habe das Gefühl, dass die Kids durch ihn Sicherheit und Ruhe bekommen. Man spürt große Vertrautheit.

 


Family-Business und Zeitreise in die Hip-Hop Ära der 90er

An einem sonnigen Nachmittag treffe ich Mehmet und seine Tochter Mayla (5) auf dem Spielplatz. Die beiden kommen mit Rucksack am Spielplatz an und begrüßen andere Eltern und Kinder dort. "Hier kennen wir viele. Hier sind wir öfter im Sommer." erklärt mir Mehmet. Als erstes packt Mehmet den Rucksack aus. Er hat für Mayla alles dabei: Wasser, Apfelspalten und Salzgebäck. Die Beiden scheinen ein eingespieltes Team zu sein. Mayla geht mit Ihren Freundinnen spielen - Mehmet und ich quatschen ein bisschen.

 

Er erzählt mir wie er zum Tanzen gekommen ist. Seine Brüder haben angefangen, logisch dass er auch mitmachen wollte. Dann hat er in verschiedenen Crews getanzt: Breakbrothers, Jayforce Posse, Burnin´ Moves, OCP-Crew und Style Troopers. Viele seiner Freunde und Crew-Mitglieder sind ebenfalls dem Hip-Hop und Breaking treu geblieben. Einer davon ist beispielsweise der Gründer des "Battle of the Year". Mehmet hat damals auch mit Freunden Veranstaltungen und Battles organisiert. Außerdem haben sie sich weltweit ausgetauscht und sind gereist, zum Beispiel nach Australien, Norwegen, Frankreich, mehrfach nach Amerika, aber auch nach England und in die Schweiz. Dort haben sie Kontakte geknüpft und diese wiederum zu Events in Deutschland eingeladen. Dabei waren auch Hip-Hop-Größen wie die "Rock Steady Crew", "New York City Breaker", Afrika Bambaataa und Kurtis Blow. Die erste große Veranstaltung die Mehmet mit seinen Freunden organisiert war 1993 der "Clean Jam" in Hannover in der "Niedersachsenhalle". Das Motto war: Hip Hop against drugs. 3.500 Hip-Hop-Begeisterte folgten der Einladung und besuchten das Event bei dem es Live-Rap, Breaking und Graffiti gab. Die Gruppen "I AM" (Frankreich) und "Son of noise" (GB) und die "Rock Steady Crew" (NYC) waren die Highlights und Ehrengäste bei dem Event in Hannover. Mehmet beschreibt, wie dieses Event immer größer geworden ist und die Organisatoren am Ende auch überfordert hat. Es hat auch seine Spuren bei Mehmet hinterlassen, denn die so positiv geplante Jam wurde sowohl in der Szene als auch öffentlich im Nachgang sehr kritisch dargestellt. Sie bekamen schlechte Presse, Neid und Diskeditierung von vielen Leuten. Trotzdem war dies für Mehmet der Beginn für weitere große Events, allerdings vorerst nicht mehr in Hannover.

 

Tochter Mayla fordert Mehmet immer wieder. Sie spielt zwar mit anderen Kindern, sucht aber auch zwischendurch immer wieder Kontakt zu Papa. Die beiden schlendern über den Spielplatz. Er nimmt sie auf die Schulter und sie lachen zusammen. Mehmet klettert auch mit auf die Rutsche. Die beiden haben Spaß und sind sich sehr vertraut, man merkt wie stolz Mehmet auf seine Familie ist. Später lerne ich auch Mehmets Frau Christina kurz kennen. Sie bestätigt mir meinen Eindruck: Mehmet kümmert sich wie ein Löwe um seine Töchter. Diese Zeit mit der Familie ist ihm sehr wichtig.


"Each one teach one! Das ist auch hier so."

An einem Mittwoch treffe ich Mehmet im "Haus der Jugend". Dort begleitet er das Breakdance-Training. Im Keller des Hauses begrüßt Mehmet mich. Im Tanzraum haben die Kids die Möglichkeit kostenlos zu trainieren. Zwei Coaches sind anwesend, Mehmet und sein jüngerer Kollege Duc. Duc zeigt die Trainingsmoves und Mehmet unterstützt die Jugendlichen bei der Umsetzung. Er berät, motiviert und gibt Ihnen Halt - sowohl physisch als auch mental. Außerdem organisiert Mehmet und übernimmt die Kommunikation zu den Eltern. Alles partnerschaftlich und sehr persönlich. Man hat das Gefühl hier eine große Familie anzutreffen.

Mehmet erzählt mir, dass es zwar verschiedene Gruppen gibt, aber immer jeder mittanzen kann. So kommen im Laufe des nachmittags auch ältere, erfahrene Tänzerinnen und Tänzer dazu. In einer kurzen Pause erklärt Mehmet mir wie die Gruppe funktioniert: "Each one teach one! Das ist auch hier so. Und das finde ich auch gut so".

"Each one teach one!"

Dieser Satz ist in der Hip-Hop-Kultur begründet und in dieser Gruppe wird er gelebt. Es gibt die Coaches, aber grundsätzlich lernt jeder von jedem. "Ich lerne auch immer wieder sehr viel von den Jugendlichen. Wenn ich einen Job nur im Büro hätte, würde mir absolut etwas fehlen!" beschreibt mir Mehmet.   


Braveheart - ein Besuch zuhause.

Ich besuche Mehmet zuhause in der Südstadt von Hannover. Er ist mit Tochter Mayla allein zuhause. Mayla spielt und Mehmet bittet mich in die Küche.  "Hier zuhause habe ich auch so meine Aufgaben! Jetzt muss der Geschirrspüler noch leer gemacht werden.", Mehmet lacht. Zuhause übernimmt er viele Aufgaben. Er kümmert sich um die Töchter, kauft ein,  bringt Müll raus und schmeisst Teile des Haushalts. Mayla und er spielen, toben und lachen zusammen.  Aber auch Mehmets große Tochter Zoe (13) spielt eine große Rolle in seinem Leben. "Wir haben viel zusammen erlebt,  es ist nicht einfach mit einem Teenager, aber Zoe ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens!", erzählt mir Mehmet. Er ist etwas traurig, dass sie nicht dabei ist bei unserem Treffen. Er zeigt mir eine kleine Ecke auf einem Sideboard im Wohnzimmer. Hier stehen einige Pokale vom Tennis, Hannover 96-Fanartikel und ein handgemaltes Bild von seinem Freund "Piti". Christos Pitis ist Künstler und hat ihm das Bild geschenkt. Der Schriftzug "B-BOY SPACE" wird mit einem Herz abgeschlossen auf dem "BRAVEHEART" steht. Ich habe Christos gefragt, wie er auf Braveheart gekommen ist. Er erklärt mir, dass Mehmet einer der Ersten war, der versucht hat Hip-Hop Künstler aus der ganzen Welt nach Deutschland zu holen und ein großes Event zu planen. Dies hat er mit der Clean Jam das erste Mal gemacht, aber auch danach hat er immer wieder sein ganzes Herzblut in große Events gesteckt, ohne Rücksicht auf Geldeinsatz, Unterstützung durch Andere oder Anerkennung aus der Szene. Als "Underdog" hat er alles gegeben, um etwas auf die Beine zu stellen. Deshalb also die Analogie zu Braveheart. Danke Christos für diesen schönen Vergleich. 

 


Tennis, Hannover 96 und Throwback 90s

Mehmet und ich wechseln von der Küche ins Wohnzimmer. Es läuft Tennis im TV - auch eine Leidenschaft von Mehmet. Er spielt selber und ist Manschaftskapitän und Sportwart. Er ist seit der goldenen Zeit von deutschen Tennislegenden wie Boris Becker und Steffi Graf von diesem Sport fasziniert. Beim Tennis gucken erzählt er mir von seiner Entwicklung. Große Familie mit 5 Geschwistern (4 Brüder und eine Schwester), wenig Einkommen zur Verfügung für Sportvereine oder Spielsachen. Deshalb findet Mehmet als Teenager halt im Hip-Hop und vor allem im Tanzen. Dies bringt aber auch negative Erfahrungen mit sich. Noch nicht gefestigt im Charakter will er Vorbildern nahe sein. Jugendliche bilden zu dieser Zeit auch in Deutschland Gangs nach amerikanischem Vorbild und lassen sich zu kleinkriminellen Handlungen hinreißen. Auch Mehmet gehört dazu. Nach einer Jugendstrafe auf Bewährung wird ihm bewusst, dass es so nicht weiter geht. Er wechselt den Freundeskreis, konzentriert sich wieder mehr auf positive Vibes im Hip-Hop und auf das Tanzen. Mehmet bringt die Hip-Hop-Kultur auch zu  seinem Bruder Turgay und seiner Schwester Arzu. Beide tanzen ebenfalls und alle drei sind lange Zeit in verschiedenen Crews zusammen und teilen viele gemeinsame Erlebnisse.  


"Abbas und Christina haben mich motiviert!"

Zusammen mit Mayla fahren wir noch einmal in das Jugendzentrum. Auf dem Weg quatschen wir weiter über Hip-Hop und Mehmets Erlebnisse. Er erzählt von weiteren Veranstaltungen die er Ende der 90er Jahren geplant und durchgeführt hat. Z.B. die Serie "Ultimate BBOY Session" zuerst in Hannover, dann in Süddeutschland. Mehmet und seine Freunde erhofften sich dort besseren Zulauf durch die besseren Verbindungen nach Frankreich, Österreich, Italien und in die Schweiz. Nach zwei außergewöhnlichen Veranstaltungen wird die Serie jedoch immer schlechter besucht und die Künstler werden immer unzuverlässiger und lassen Mehmet und sein Team trotz Bezahlung im Stich. Deswegen muss er hier dann Anfang 2000 die Notbremse ziehen und aufhören. Leider mit angehäuften Schulden und seinem bisher größten Tief im Leben. Aber auch hier kommt er wieder heraus durch drei Faktoren: Seinen Kampfsport als Ausgleich und zum Lernen von Disziplin, Hip-Hop und Breaken und natürlich die Liebe.  Sowohl sein Kampfsport-Trainer Abbas, als auch seine neue Freundin und jetztige Ehefrau Christina helfen ihm noch eine weitere Ausbildung zu beginnen. Er wird Erzieher! "Abbas und Christina haben mich motiviert! Das hat mir geholfen.", erklärt er mir. Durch die guten Kontakte in die Hip-Hop- und Jugendszene bekommt er einen Job bei der Landeshauptstadt Hannover. Seitdem lebt und arbeitet er in Hannover und hat in dieser Zeit auch die Hip-Hop Community e.V. mitbegründet , die sich seit dem für die Entwicklung und Untstützung von Jugendlichen stark macht.

 

Zeit für diese ganzen Projekte hat Mehmet durch eine tolle Beziehung zu seiner Ehefrau. Sie halten sich gegenseitig den Rücken frei und auch die Schwiegermutter unterstützt dabei, dass sich alle in der Familie entfalten können. Mehmet beschreibt mir wie Dankbar er dafür ist.   


Auf ins zweite Wohnzimmer von Mehmet - Jugendzentrum Döhren

Im Jugendzentrum angekommen klärt Mehmet noch wichtige Dinge für eine Veranstaltung am nächsten Tag. Im Jugendzentrum kommt ein junger Mann auf ihn zu. Er muss Sozialstunden ableisten und soll sich im Jugendzentrum melden. Mehmet klärt alles formelle mit ihm. Er bezieht ihn gleich in die Veranstaltung am nächsten Tag mit ein. "Kommste morgen um 17 Uhr rum!", fordert er den Jungen. Abgemacht. Als der Junge gehen will, reicht Mehmet ihm die Hand entgegen. Der Junge schlägt etwas erstaunt ein. Dieses "Hand reichen" zeigt Mehmets Charakter. Keine Vorurteile, keine Unterschiede machen, offen und ehrlich - das ist für mich Hip-Hop pur und bestätigt mir nochmal das Bild, was ich von Mehmet habe. 

 

Später zeigen Mayla und Mehmet mir das ganze Jugendzentrum. Die Arbeitsräume wo Flyer und Poster konfektioniert werden, Umkleiden und auch im Keller den Kampfsport-Bereich.  Wir testen den Boxsack und Mayla springt Trampolin. In diesem Bereich ist alles authentisch und echt. Es riecht nach Schweiß und hartem Training. Auch Mehmet hat hier lange trainiert. An der Wand hängt ein Pressebericht aus alten Tagen. Mehmets damaliger Trainer Abbas ist zu sehen.  Mehmet erzählt mir, dass sie mittlerweile gute Freunde sind und den Kontakt halten. 

 


Dreamteam im "Quatschturnen"

Auch auf der Bühne im Veranstaltungsraum toben Mayla und Mehmet rum. Es entstehen lustige Bilder. Schön die beiden zu beobachten. Ein interessanter Nachmittag geht für mich zu Ende und auch eine interessante Begegnung mit einem vielseitigen, liebevollen und starken Menschen.

 

Mayla und Mehmet "on Stage"
Mayla und Mehmet "on Stage"

Danke Mehmet!

Es hat wirklich Spaß gemacht. Du hattest soviel Input für mich, dass ich noch vieles mehr hätte berichten können. Deine Familie ist toll und es war für mich ein Vergnügen Dich besser kennenzulernen. Danke für Dein Vertrauen und Deine Offenheit. Du bereicherst mein Projekt mit Bescheidenheit, Stärke und Liebe.

Peace.

Projekt "Freigeister" - Oliver Müller

 ® Alle Rechte vorbehalten